Nackte Kunst

August 7, 2006 by  

Tunick 1.jpg 

2. Einstellung der Pyramide (noch ohne Fontäne)

4.20 Uhr, Ehrenhof, „museum kunst palast“. In der letzen Info-Email des Verteilers stand: „Seien sie pünktlich, um nicht von der Aktion ausgeschlossen zu werden“. Die Schlange vor dem Teilnehmereingang am „Pavillon der Bildhauerei“ hält sich in Grenzen. Alles scheint gut organisiert. Obwohl es im Internet an die 1000 Bewerbungen gab, stellten sich die Veranstalter zur Sicherheit auf 1500 Leute ein. Bis zum Beginn der Aktion sollen es noch 850 Menschen werden. Die große Wiese am NRW-Forum ist mit kleinen, stehenden oder sitzenden Gruppen gesäumt. Die Einen trinken Kaffee aus Thermos-kannen, die Anderen noch das letzte Bier des Vorabends. Ob Sie früh aufstehen oder vorher feiern, seien Sie einfach da, hieß es in den letzten Instruktionen. Das erste was mir auffiel, war eine Mutter mit Kind, etwa dreijährig, das Kind sollte später bei der Installation noch für Unterhaltung sorgen. Viele Männer, das war mein zweiter Eindruck. Aber ansonsten von Grund auf verschiedene Menschen.

Alle Körper sind schön

 Von Jung bis Alt, von körperkultig athletisch, Schublade:macht so was öfter, bis hin zu Menschen, die nicht gerade dem aktuellen von den Medien diktierten Schönheitsideal entsprechen. Aber wie sagte Spencer Tunick:“ Alle Körper sind schön“. Den meisten Leuten wäre man vermutlich niemals begegnet, hätte uns die Kunst nicht an diesem frühen Sonntagmorgen zusammengeführt. „Ihr alle seid Künstler“ sagt Spencer Tunick noch in seiner Ansprache. Er wird sich im Laufe der Aktion noch mehrmals bedanken.  Bevor sich alle versammelt hatten und Spencer Tunick uns alle von einer Leiter aus kurz begrüßte und grob den Ablauf beschrieb, hatten schon die ersten Selbstinszenierer vor den mehr als 100 Medienvertretern blank gezogen und somit Futter für Explosiv, Sam und Co. geschaffen. Darauf dann auch der Hinweis von Herrn Tunick persönlich: „Please do not undress until you are directed to do. You will be naked long enough.“ Das kam nicht überraschend, stand nämlich ebenfalls in den letzten Instruktionen. Es wurden insgesamt fünf Einstellungen fotografiert. Die ersten drei Motive, heute unter anderem in BILD zu bewundern, zeigten eine menschliche Pyramide. Da zum genauen Ablauf keine Informationen vorlagen, fiel wohl nicht nur mir ein Stein vom Herzen, als wir die Bühnenaufbauten sahen, die bereits die Pyramidenform vorgaben. Also zum Glück nur augenscheinlich eine menschliche Pyramide.

FKK-Frontsäue 

Die ersten Teilnehmer erhielten beim Eingang „a yellow slip“ eine gelbe Karte. Dies sollte noch bei einem Übersetzungsfehler während der Begrüßung für allgemeine Belustigung sorgen. Diese erste Gruppe wurde als erstes, und zwar direkt um den Brunnen an der Spitze der Pyramide positioniert. Dann per Megaphon die Ansage:“ Alle ausziehen“. Es war so weit, alle zogen sich in Windeseile aus und gingen vom NRW-Zentrum unter Blitzlichtgewitter der Presse Richtung Ehrenhof. Das Schamgefühl hielt sich, geborgen in einer Masse von nackten Körpern, erstaunlicher Weise in Grenzen. Es schien als rücke die Masse extra eng zusammen, um möglichst wenig Angriffsfläche für Fotos zu bieten. Auch hier wussten sich vereinzelte FKK-Frontsäue geschickt in Szene zu setzen und bildeten einen kleinen Schutzwall für die nicht ganz so exhibitionistisch Veranlagten wie mich. Tunick wies auf den Platz vor der Pyramide, dieser sollte aufgefüllt werden. Erst im Stehen, dann im Liegen auf dem Kieselweg – ordneten sich die Modelle an. In den letzten paar Minuten der Einstellung sollte die Wasserfontäne aus dem Brunnen schießen. Wir wurden vorgewarnt, dass eine kleine Gruppe nass werden könne, doch  der Wind wusste nicht, dass nur wenige nass werden sollten – ein Sprühregen ergoss sich über die teilweise bibbernde Masse. Dann der Hinweis – Einstellung im Kasten. Die ersten drei Fotos sind geschafft. Die Teilnehmer erwachen aus der Starre, applaudieren, für Tunick, aber wohl auch für sich selbst.

Ein nackter Waldmarsch

Die nächste Einstellung. Zurück zum NRW-Forum, ein Kreuzweg wird mit Menschen gesäumt, die Köpfe zum Weg hin, die Körper auf die Wiese gebettet, man liegt auf dem Rücken und schaut in den Himmel, als wäre man allein. Nur die Megaphon-Hinweise erinnern an die Situation. Tunick geht an mir vorbei, ich frage ihn „Are you satisfied?“ Er grinst: „You are so beautiful“. Kurz danach steht er auf die Hebebühne und fotografiert. Auch diese Szene ist im Kasten. Er fordert alle Männer auf, ihm in den Hofgarten zu folgen – ein nackter Waldmarsch beginnt. Nix für Homophobe. Die Stimmung ist locker. Keinerlei Absperrungen mehr. Die ersten gassigehenden Düsseldorfer trauen ihren Augen kaum, hunderte nackte Männer, die auf einen Baum zupilgern. Tunick sagt wir sollen uns fühlen wie Löwen – Gelächter bricht aus. Die ersten erreichen den Baum – klettern auf ihn. Aber er sagte doch Löwen? Diese Einstellung dauert lange. Tunick, der Perfektionist lässt von seinen Helfern jedes Bein, jeden Arm korrigieren. Auch die Verbindungen entscheidet er. „Hier mal auf den Arm mit dem Kopf“ sagt die Dolmetscherin. Ich liege Arm in Arm mit einem Mittfünfziger, hatte ihn schon am Anfang kennen gelernt. Netter Typ, aber weiß er, dass ich nicht schwul bin. Neben uns ein Schwulenpärchen, sichtlich erfreut über die Nähe der Körper“. Tunick gibt die letzen Anweisungen „Now please feel comfortable“. Tunick fotografiert von einer großen Leiter aus. Das war’s, es ist geschafft. Nun sucht er nur noch 25 Freiwillige für ein Indoorshooting im Rubens-Saal. Mir reicht es langsam, es ist etwa 8.30 Uhr. Dann die Erleichterung: „Please only men between 18 and 25.“ Das war’s. Wir marschieren an den mittlerweile vermehrten Zaungästen vorbei. Endlich anziehen. Kärtchen werden ausgetauscht, Verabredungen für die Eröffnung der Tunick-Ausstellung am 29. September (19 Uhr) werden getroffen. Die Masse löst sich auf, in alle Himmelsrichtungen. Es ist Fischmarkt, die Leute, die die Parkverbots-Schilder missachteten, werden heute ohne Auto nach Hause müssen.

Wir haben Kunst gemacht. Was für ein Sonntag.

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Spencer Tunick beim „Fein-Tuning“ der Körper

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